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Projekt Hawaii Teil 1

Ironman Frankfurt 2009

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Was ist das? Wo bin ich? Warum läuft hier Musik? Es ist stockfinster! Ich liege in einem Bett, das definitiv nicht meins ist. Höre weit entfernt vereinzelt Autos auf einer Autobahn vorbeirauschen. Bin doch gerade erst eingeschlafen. So ganz langsam dämmert mir, was los ist. Die Musik kommt aus meinem Handy und ist die Weckermelodie. Halleluja in der Version von Axel Rudi Pell. Etwas rockiger als die Originalfassung von Leonard Cohen, aber immer noch gut geeignet zum sanften Aufwachen. Habe ich vor Jahren in meinem Handy als Weckermelodie eingestellt. Wahrscheinlich der am meisten gecoverte Song der Rockgeschichte. Ein Blick auf die Uhr des Handys sagt, 4:00 Uhr morgens. Ist heute nicht Sonntag? Neben mir meine zukünftige Ehefrau Silke. Unsere Hochzeit wird Anfang Oktober sein und die Hochzeitsreise geht zufälligerweise nach, na, errätst du es? Nach Hawaii. Doch zurück zu diesem dunklen Juli-Morgen in das kleine Hotelzimmer. Entweder hört Silke den Wecker nicht, oder sie ignoriert ihn. Ach ja, wir hatten ja abgesprochen, dass sie erstmal noch liegen bleibt und erst kurz vor dem Losfahren aus den Federn kommt. Ich muss raus. Krabble möglichst leise aus dem Bett. Es ist der 5. Juli 2009, und ich habe heute noch etwas vor...

 

Der innere Schweinehund

...Auf geht’s in die gefürchtete dritte Runde. Erstmal bis zum ersten Versorgungsstand. Ich habe das Gefühl, dass mir irgendjemand im Nacken sitzt. Drehe mich um. Niemand da, außer einigen Läufern, die mich gleich überholen werden, und einige wenige, die ich gerade überholt habe, aber keiner, der mich verfolgt. Ich laufe weiter, komme gedanklich nicht zur Ruhe. Drehe mich wieder um. Nichts. Kopf ausschalten, weiterlaufen, nicht zu viel nachdenken. Es fällt mir ein Spruch ein, der mal auf einem meiner Lauf-Shirts stand: „Life is simple, just run“. Einfacher gesagt als getan, wenn man schon 8,5 Stunden unterwegs ist.

Auf einmal höre ich ein Flüstern. Verstehe aber kein Wort. Was war das denn? Wieder umgedreht. Hundert Meter entfernt ein paar Zuschauer an der Strecke, die können das nicht gewesen sein. Weiterlaufen, einen Schritt nach dem anderen. Rechts, links, rechts links, immer wieder. Die Monotonie der Schritte hat etwas Hypnotisches. Einfach laufen. Das Mysterium hinter mir lässt mir keine Ruhe. Es ist, als ob ich einen Atem im Nacken spüre. Nächste Versorgungsstation, ich gehe relativ lange, um in Ruhe Isogetränke, Wasser und Cola zu mir zu nehmen. Becher in die bereitgestellten Container geworfen und wieder in den Laufschritt verfallen, der immer träger wird.

„Gehe doch einfach weiter im Wanderschritt, du musst doch nicht laufen!“

Ich höre jetzt diese Stimme deutlicher tuscheln. Was hat sie gesagt? Ich muss ja nicht laufen? Hm, so ganz Unrecht hat die Stimme eigentlich gar nicht, ich kann einfach mal ein Stück zwischen zwei Versorgungsstationen gehen. Nach der nächsten laufe ich dann wieder. Aber wo kam die Stimme denn her? Sie war so nah dran, als ob etwas auf meiner Schulter sitzt und mir ins Ohr flüstert.

„Du musst doch heute gar nicht mehr laufen, hast genug Zeit bis zum Zielschluss um 23 Uhr! Machst du einfach einen schönen Sonntagsspaziergang am Main draus.“ Da war sie schon wieder, die Stimme.

Ich protestiere: „Hey, ich will hier heute eine persönliche Bestzeit aufstellen! Ich will versuchen, einen Startplatz für den Ironman Hawaii zu ergattern!“

„Versuche es doch einfach beim nächsten Mal“, flüstert mir die Stimme ins Ohr. „Es muss ja heute nicht dein letzter Ironman sein!“

„Warum untergräbt diese Stimme meine Moral, meinen Kampfgeist?“ denke ich. Langsam dämmert es mir, wer mich da schon seit einiger Zeit verfolgt und zu mir spricht. Es ist der innere Schweinehund, der mich davon abhalten will, mir Schmerzen zuzufügen [41]. Etwas weniger prosaisch ausgedrückt, ist es wahrscheinlich eine Schutzfunktion des Körpers, die verhindern soll, seinen Körper zu überlasten.

Der Wille kämpft noch dagegen an: „Ich habe ein Jahr für diesen Tag trainiert! Fast täglich, manchmal zweimal am Tag! Ich laufe weiter, basta!“

„Wie du meinst“, zischt die Stimme. „Wirst schon sehen, was du davon hast! Es sind ja schon einige Teilnehmer beim Notarzt gelandet. Manche auch im Krankenhaus. Vor allem bei der Hitze. Wenn du mich fragst, lass es ab jetzt mal ganz ruhig angehen. Tut dann auch nicht so weh.“

„Ich frage dich aber nicht! Ironman heißt, auch mental stark zu sein! Nicht gleich bei den ersten Ermüdungserscheinungen die Flinte ins Korn werfen.“

OK, die ersten Ermüdungserscheinungen hatte ich schon nach der ersten Radrunde vor fünf Stunden, aber das will ich mir nicht eingestehen. Ich habe das Zwiegespräch mit dem inneren Schweinhund gewonnen und laufe weiter! Bis zum nächsten Versorgungsstand.

„Du musst nicht wieder loslaufen. Denke auch an die Hitze! Das ist gefährlich! Bleibe einfach im Wanderschritt. Du bist eh nicht gut genug für Hawaii!“

„Warum gibt der keine Ruhe?“

„Du bist ein Looser! Gehe einfach die letzten 15 Kilometer! Davon geht die Welt nicht unter!“

Genau genommen hat er eigentlich Recht, ich mache das hier freiwillig. Und meine Gesundheit will ich auch nicht aufs Spiel setzen, geht es mir durch den Kopf.

„Du schaffst das nie! Nach Hawaii fahren andere, die mehr trainiert haben. Oder sie haben mehr Talent!“

Ja, er hat Recht. Ich schaffe das nie. Es war vermessen, es überhaupt zu versuchen und zu glauben, ich würde das schaffen!

„Na siehst du! Ich sage es dir doch die ganze Zeit! Es ist wie immer, spätestens auf den letzten Kilometern machst du schlapp!“

Möchtest du wissen, ob der innere Schweinehund am Ende gesiegt hat?

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